Rassismus „Viele Deutsche sind der Meinung, dass Rassismus eine Meinung und kein Verbrechen ist“

Martha Bienert. Foto: Aissa Sica

Politikwissenschaftlerin Martha Bienert über Rassismus.

Martha, warum hast du angefangen, dich mit dem Thema Rassismus zu beschäftigen?

Ich bin in Weimar geboren und aufgewachsen, in einer Stadt in der viel Rassismus und zum Beispiel auch Neonazis sichtbar waren. Glücklicherweise hat sich dann eine starke Zivilgesellschaft geformt, die viel Bildungsarbeit geleistet hat, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. Aus dieser Umwelt heraus habe ich viel gelernt. Ich wurde von meiner Familie und meinem Freundeskreis empowered und mir wurde klar, dass Antirassismusarbeit bei den Menschen durch Bildung anfängt.

Wie ging es dann weiter für dich?

Als Bürgerin dieser Stadt, in der ich mich immer wohlgefühlt habe, dachte ich, dass ich als Afrodeutsche mehr Kenntnisse benötige. Ich wollte wissen: Wo kommt es her, wenn Menschen andere Menschen hassen? Ich habe beschlossen Politik zu studieren, um zu verstehen was wir dagegen unternehmen können und habe dann ein Praktikum in der politischen Jugendbildung gemacht. Die Themen Menschenrecht- und Demokratiebildung und Antirassismus beschäftigen mich jetzt seit vielen Jahren.

Wie hilft es dir persönlich, dich diesen Themen auseinanderzusetzen?

Ich sehe diese Arbeit als meine Berufung an und möchte sie aber auch als Politikwissenschaftlerin auf politisch höherer Ebene einbringen. Ohne diese Aufgabe, würde es mich machtlos machen.

Wie würdest du die aktuelle Situation in Deutschland zum Thema Rassismus beschreiben?

Mir begegnet ein erschreckendes Unwissen, was Begrifflichkeiten angeht. Ich definiere mich als Afrodeutsche, manche andere als so genannte „Farbige“ und viele wollen mit ihrem Begriff Deutungshoheit beanspruchen, was schwierig ist. Was den Umgang mit diesen Begriffen angeht, müssen Gewohnheiten abgelegt werden, was vielen Schmerzen bereitet. Aber es kann auch ein Lernprozess entstehen, der Früchte tragen kann.

Unter der weißen Mehrheitsgesellschaft herrscht eine große Diskrepanz bei der Wahrnehmung von Themen wie Rechtsextremismus und Alltagsrassismus. Die Dringlichkeit, diese Themen zu behandeln, muss erkannt werden. Dabei geht es auch beispielsweise um Antisemitismus und Antiziganismus und antimuslimischer Rassimus. Wir müssen als Gesellschaft zusammenarbeiten und gemeinsam für diese Themen einstehen.

Was hat sich bisher in Deutschland getan?

Bisher ist es so, dass Betroffene von Rassismus Tools entwickelt haben, sich mit dem Thema zu beschäftigen und die Mehrheitsgesellschaft darüber zu informieren. Sie schreiben Bücher, empowern ihre eigenen Communities. Leider passiert auf politischer Ebene aber super wenig. Die Gefahr, die diese Phänomene mit sich bringen, wird nicht erkannt, zum Beispiel wird den Landeszentralen für politische Bildung regelmäßig die Förderung gekürzt.

Ich bin der Meinung, dass leider immer erst etwas passieren muss, bis Taten der Politik folgen. Es macht mich sehr traurig, weil andere Themen, die nicht so dringend sind als wichtiger angesehen werden. Das ist leider so, weil das Thema nicht so populär ist und manche Menschen wenig Wert darauf legen.

Was sind typische Beispiele für Alltagsrassismus?

Musliminnen, die ein Kopftuch tragen, werden regelmäßig diskriminiert. People of Color werden angespuckt und beschimpft. Manchmal sind es auch unbewusste Handlungen, dass jemand seine Tasche festhält, wenn sich im Bus eine Person of Color neben ihn setzt oder man wird gefragt, warum man so gut Deutsch spricht. Bei mir persönlich ist es zum Beispiel so, dass ich oft große Verwunderung auslöse, wenn ich erzähle, dass ich Politikwissenschaft studiere.

Was muss in Deutschland gegen Rassismus getan werden?

Wenn man in der Schule anfängt, über Menschenrechte und Rassismus zu sprechen, ist durch Bildungsarbeit sehr viel zu erreichen. Auch auf der Arbeit ist es wichtig, dass Gleichbehandlungsgesetze gegen Diskriminierung eingehalten werden. Es sollte ein Antirassismusgesetz geben. Zum Beispiel geben viele Menschen als Antwort auf die Frage, ob Rassismus ein Verbrechen oder eine Meinung ist, dass es eine Meinung sei. Wir brauchen Gesetze dafür und auch Verbote.

Was kann jeder Einzelne gegen Rassismus tun?

Bildet euch fort! Lest, was Experten und Expertinnen schreiben und es wichtig, in den Dialog zu treten. Natürlich hängt es immer vom Kontext und dem jeweiligen Forum ab, in dem du dich befindest, aber wenn man betroffene Freunde oder Familienangehörige hat, dann finden sich immer Situationen, in denen man helfen kann. Stehe für die Person ein! Zum Beispiel auf Partys kann es sein, dass die betroffene Person selbst, keine Kraft hat, für sich einzutreten oder einfach die Stimmung nicht verderben will. Versuche die Person ernst zu nehmen und als Verbündeter für sie da zu sein.

Wie würde das konkret im Alltag aussehen?

Zivilcourage bedeutet zum Beispiel dann, dass du dich nach einer rassistischen Situation in der U-Bahn der betroffenen Person zuwendest und nicht dem Täter. Denn dadurch würde er die Macht behalten und du würdest ihm die Bühne geben.
Wenn du dich selbst reflektierst und deine eigenen Bias, dann müsstest du dich vielleicht auch bei Personen entschuldigen und sie heute ernstnehmen. Was auch hilft ist, schwarzen Personen eine Stimme zu geben und ihnen die Bühne zu überlassen. Zum Beispiel für Vorträge oder Diskussionsrunden. Einfach kurz überlegen, wie du mehr Diversität reinbringen kannst.

Martha Bienert ist in Weimar geboren und aufgewachsen, hat in Jena Politik- und Geschichtswissenschaften studiert und schließt gerade den Master für Politikwissenschaft and der FU Berlin ab. Sie lebt heute in Berlin. Sie arbeitet als freiberufliche Referentin der politischen Bildung mit den Schwerpunktthemen: Demokratie-und Menschenrechtsbildung, Diversity und Antirassismusarbeit und engagiert sich zivilgesellschaftlich im Rahmen des Fellowship programme for people of African descent des United Nations High Commissioner for Human Rights.

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